Warum glauben wir an Wunder?

Unser Gehirn ist von Natur aus nicht darauf ausgelegt, die Umwelt objektiv abzubilden und logisch zu denken, sondern stellt eine Art „Überlebenszentrale“ dar, die sich im Laufe der Evolution entwickelt hat, mit dem Ziel besser zu überleben. Erlebnisse, bei denen es sich nicht mehr „auszahlt“ Gehirn-Rechenleistung zu „verschwenden“ werden dann ganz einfach in die Kategorie Wunder eingeordnet und nicht mehr weiter hinterfragt.

Das Würfelwunder – ein Gedankenexperiment

Wenn man einen Würfel wirft, erwartet man, dass er auf eine der 6 Seiten fällt. Er könnte aber auch (sehr unwahrscheinlich) auf einer Kante oder (noch unwahrscheinlicher) auf einer Ecke zu liegen kommen.

Theoretisch könnten sich auch alle Moleküle, aus denen der Würfel besteht, zufällig in eine Richtung entgegen der Schwerkraft bewegen und so den Würfel zum Wegfliegen bringen.

In einem 1 cm großen Würfel sind etwa 2,7 × 1019 Moleküle enthalten. Der Fall, dass so ein Würfel einfach wegfliegen würde, beträgt,

P= (1/3)2,7*10.0000000000000000000

ist also praktisch null. Das Eintreten eines solchen Geschehens ist soooo unwahrscheinlich, dass es während des gesamten Alters des Universums nicht einmal auftreten würde. Deshalb lohnt es sich, für das Gehirn nicht, solche Wahrscheinlichkeiten zu berücksichtigen. Das Gehirn würde in diesem Fall gar nicht zu rechnen beginnen, sondern so ein Ereignis einfach in die Kategorie „Wunder“ einordnen und die Rechenleistung des Gehirns für Wichtigeres frei halten.

Warum glaubt man an Wunder?

Es gibt viele „Beweggründe“ an Wunder zu glauben. Einige davon sind:

    • Kulturelle Gründe: Kulturen und Religionen erzählen Geschichten von Wundern, die von Generation zu Generation weitergegeben werden und den Glauben an Wunder prägen.
    • Persönliche Erfahrungen: Erfahrungen, die nicht erklärt werden können, werden als Wunder interpretiert. Ab einer gewissen Komplexität „verrechnet“ das Gehirn unwahrscheinliche Ereignisse nicht mehr und „erklärt“ sie zu Wundern. Auf diese Weise wird das Gehirn nicht unnötig überlastet und ist fitter für alltägliche Aufgaben (siehe Würfelwunder).
    • Hoffnung und Trost: Der Glaube an Wunder kann helfen, auch in ausweglosen Situationen optimistisch zu bleiben. Wunderglaube hilft also beim Überleben.
    • Psychologisches Bedürfnis, an einen „tieferen Sinn“ des Lebens zu glauben; Wunder werden oft als Zeichen oder Botschaften einer höheren Macht gedeutet (magisches Denken).
    • Gemeinschaftsgefühl: Der gemeinsame Glaube an Wunder stärkt den sozialen Zusammenhalt.

    Der Glaube an Wunder zeigt also aus evolutionsbiologischer Sicht gewisse Vorteile für das Überleben und fördert den sozialen Zusammenhalt.

Was passiert im Gehirn, wenn man an Wunder glaubt?

  • Das Belohnungssystem im Gehirn (Nucleus acumbens), wird aktiviert und das Gefühl von Freude und Belohnung ausgelöst (Dopamin-vermittelt).
  • Präfrontaler Cortex: ist zuständig für Entscheidungsfindung und Problemlösung. Wenn Probleme zu komplex sind, werden dort Lösungen „konstruiert“ und zum Wunder „erklärt“.
  • Temporallappen: Vor allem der rechte Schläfenlappen ist an der Verarbeitung religiöser und spiritueller Erfahrungen beteiligt. In Studien konnte gezeigt werden, dass Menschen mit intensiven spirituellen Erfahrungen in diesem Bereich eine erhöhte Aktivität zeigen. Patienten mit Temporallappen-Epilepsie zeigen auch zwischen den Anfällen vermehrt religiöses Verhalten.
  • Amygdala: Sind an der Verarbeitung von Emotionen beteiligt. Der Glaube an Wunder ist meist mit starken emotionalen Reaktionen verbunden und wird von Gefühlen wie Staunen, Ehrfurcht und Dankbarkeit begleitet.
  • Default Mode Network (DMN): Ist ein Netzwerk von Hirnregionen, das aktiv ist, wenn der Geist zur Ruhe kommt und nicht auf äußere Reize fokussiert ist. Es ist auch bei der Selbstreflexion aktiv und verarbeitet „hypothetische Szenarien“. Auch bei der Verarbeitung von Wunderglauben ist es vermehrt aktiv.
  • Wunderglaube kann auch Placebo-Effekte auslösen und tatsächlich zu einer Verbesserung des Wohlbefindens oder zur Heilung von Krankheiten führen.
Literatur

M. Ledochowski: Die Wunder der Bibel medizinisch erklärt ISBN 978-3-66-66473-5

Autor: Ledochowski

Arzt und Autor